Aktuelles

offener Brief an die Bundeskanzlerin

Frau Bundeskanzlerin

 

Dr. Angela Merkel

 

Bundeskanzleramt

Frau Bundeskanzlerin

Dr. Angela Merkel

Bundeskanzleramt

Willy-Brandt-Straße 1

10557 Berlin

Nachrichtlich:

Innenministerium

Auswärtiges Amt

Integrationsbeauftragte

Innenausschuss

Auswärtiger Ausschuss

Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Berlin/Frankfurt, 03. April 2019

Drei Forderungen aus der Zivilgesellschaft: Notfallplan für Bootsflüchtlinge / ”Sichere Häfen” ermöglichen / Keine Rückführung nach Libyen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

in den vergangenen Wochen hat Deutschland gemeinsam mit anderen europäischen Staaten immer wieder Menschen aufgenommen, die im Mittelmeer aus Seenot geret-tet wurden. Wir sehen dieses Engagement und begrüßen es, dass die Bundesrepub-lik bei anderen EU-Mitgliedstaaten für einen Verteilmechanismus für diese Menschen wirbt.

Wir, die Unterzeichnenden, setzen uns auf unterschiedliche Weise für eine men-schenrechtsbasierte, solidarische Flüchtlingspolitik ein – als Flüchtlings- und Men-schenrechtsorganisationen, Wohlfahrtsverbände, Kirchen, humanitäre Hilfsorganisa-tionen, Seenotrettungsorganisationen, Kommunen, Gewerkschaften, zivilgesell-schaftliche Bewegungen und lokale Bündnisse.

Wir sind erschüttert angesichts der gegenwärtigen europäischen Politik, die immer stärker auf Abschottung und Abschreckung setzt – und dabei tausendfaches Sterben billigend in Kauf nimmt. All diese Menschen haben Schutz und eine menschenwürdi-ge Zukunft für sich und ihre Familien gesucht.

Die Pflicht zur Seenotrettung ist Völkerrecht und das Recht auf Leben nicht verhan-delbar. Diese Verantwortung trifft in erster Linie die EU und ihre Mitgliedstaaten; sie müssen eine völkerrechtsbasierte Seenotrettung auf dem Mittelmeer gewährleisten. Sie haben sich auch dazu verpflichtet, Schutzsuchenden Zugang zu einem fairen Asylverfahren zu gewähren. Für all dies sind wir gemeinsam mit zehntausenden Menschen in den vergangenen Monaten bundesweit auf die Straße gegangen.

Dass zivile Helfer*innen kriminalisiert werden, die der unterlassenen Hilfeleistung der europäischen Staaten nicht tatenlos zusehen wollen, ist ein Skandal. Diese Politik muss beendet werden, denn sie bedroht nicht nur das Leben von Menschen, sie setzt auch unsere eigene Humanität und Würde aufs Spiel. Und sie beschädigt das Vertrauen in den Rechtsraum und die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union

und ihrer Mitgliedstaaten. Daher bedarf es einer Neuausrichtung der deutschen und europäischen Politik.

Wir wenden uns an Sie als eine Kanzlerin, die in einem kritischen Moment einen Ent-schluss gefasst hat, europäisch zu handeln. Die folgenden Maßnahmen weisen aus unserer Sicht Wege aus der derzeitigen humanitären Katastrophe und der politischen Krise. Jetzt, kurz vor den Europawahlen 2019, sind sie wichtiger denn je.

1. Notfallplan für Bootsflüchtlinge: Die Bundesregierung verhandelt bereits mit anderen europäischen Staaten über ein Verteil- und Aufnahmeverfahren (Relocation) für im Mittelmeer gerettete Flüchtlinge. Mehrere europäische Staaten sollen sich mit der EU-Kommission zusammenschließen und unter Koordination des Asylunterstüt-zungsbüros EASO die Menschen unter Anwendung der Humanitären Klausel der Dublin-Verordnung nach einem vorher festgelegten Schlüssel verteilen. Den Schutz-suchenden muss nach Anlandung in einem sicheren europäischen Hafen eine men-schenwürdige Aufnahme und Zugang zu einem fairen Asylverfahren gewährt werden. Der Europäische Flüchtlingsrat hat dazu einen praktikablen Vorschlag gemacht.1

Wir appellieren an Sie, schnellstmöglich einen solchen Notfallplan für Gerettete und andere über das Mittelmeer ankommende Schutzsuchende umzusetzen.

2. „Sichere Häfen“ ermöglichen: Wir bitten die Bundesregierung, aufnahmebereiten Kommunen in unserem Land die freiwillige Aufnahme von zusätzlichen Schutzsu-chenden in einem europäischen Relocation-Verfahren zu ermöglichen. Zahlreiche deutsche Städte und Gemeinden haben sich in den vergangenen Monaten zum „Si-cheren Hafen“ erklärt und ihre Aufnahmebereitschaft signalisiert. Für sie muss eine Möglichkeit geschaffen werden, über ihre Aufnahmepflicht gemäß Königsteiner Schlüssel hinaus, zusätzlich freiwillig Schutzsuchenden aufzunehmen – entweder auf Grundlage bestehender oder neuer rechtlicher Regelungen.

3. Keine Rückführungen nach Libyen: Die EU und die Bundesrepublik müssen das Non-Refoulement-Gebot als zwingendes Völkerrecht achten und umsetzen. Wir bit-ten Sie, dieses Gebot deutlich gegenüber anderen Staaten zu verteidigen. Das Ver-bot der Zurückweisung in eine Bedrohungssituation verlangt, dass gerettete Men-schen an einen sicheren Ort evakuiert werden. Einige der südlichen Mittelmeeranrai-ner bemühen sich Asylsysteme aufzubauen. Aufgrund der fehlenden rechtsstaatli-chen Garantien kann ein sicherer Ort bis auf weiteres jedoch nur in der EU liegen.

Nach Libyen zurückgebrachte Menschen sind systematisch Folter, Versklavung und Gewalt ausgesetzt, wie Sie aus UN- und Botschaftsberichten wissen. Dementspre-chend darf es keine Zurückführung nach Libyen geben. Daraus ergibt sich auch, dass die Bundesregierung und die EU jede Unterstützung und Ausbildung der sog. libyschen Küstenwache einstellen müssen. Diese fängt fliehende Menschen erwie-senermaßen auf hoher See ab und bringt sie mit Gewalt nach Libyen zurück. Auch andere Staaten dürfen nicht dabei unterstützt werden, schutzsuchende Menschen abzuwehren, in Gefahr zurückzudrängen oder unter unmenschlichen Bedingungen festzuhalten.

1 Relying on Relocation: ECRE Proposal for a Predictable and Fair Relocation following Dis-embarkation, 25.01.2019 www.ecre.org/relying-on-relocation-ecre-proposal-for-a-predictable-and-fair-relocation-following-disembarkation/

Wir richten diese Forderungen an Sie und werden uns auch künftig mit aller Kraft für politische Lösungen einsetzen, die von Humanität geleitet sind.

Hochachtungsvoll

Bundesweite Organisationen

ACAT Deutschland (Akti-on der Christen für die Abschaffung der Folter)

ADRA Deutschland e.V.

Aktion Deutschland Hilft

Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V.

Aktionsbündnis gegen AIDS - Action against AIDS Germany

Amnesty International

Anwälte ohne Grenzen - Lawyers without Borders e.V.

Arbeitsgemeinschaft der Eine-Welt-Landesnetzwerke in Deutschland e.V.

Ärzte der Welt e.V. - Doc-tors of the World Germany

Ärzte ohne Grenzen e.V. - Medecins Sans Frontieres

AWC Deutschland e.V.

AWO Bundesverband

AWO International

borderline-europe - Men-schenrechte ohne Gren-zen e.V.

Brot für die Welt

Brot für die Welt Jugend

Bund der Deutschen Ka-tholischen Jugend

Bundesarbeits-gemeinschaft Evangeli-sche Jugendsozialarbeit e.V.

Bundesarbeits-gemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus (BAG K+R)

Bundesverband NETZ für Selbstverwaltung und Selbstorganisation e.V.

Campact

civilfleet-support e.V.

Der Paritätische Gesamt-verband

Deutsche Aidshilfe

Deutsche Gesellschaft für Soziale Arbeit e.V.

Deutscher Caritasverband e.V.

Deutscher Gewerk-schaftsbund

Diakonie Deutschland

Diakonie Katastrophen-hilfe

Equal Rights Beyond Bor-ders

Evangelische Frauen in Deutschland e.V.

FC St. Pauli

FIM – Frauenrecht ist Menschenrecht e. V.

Flüchtlingspaten Syrien e.V.

IN VIA Katholischer Ver-band für Mädchen- und Frauensozialarbeit – Deutschland e.V.

IUVENTA - Solidarity at Sea

Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland

Jugend Rettet e.V.

KOK - Bundesweiter Ko-ordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V.

kritnet – Netzwerk für kri-tische Migrations- und Grenzregimeforschung

MISEREOR

Mission Lifeline e.V.

Netzwerk Afrika Deutsch-land (NAD)

Neue Richtervereinigung e.V.

Ökumenische Bundesar-beits-gemeinschaft Asyl in der Kirche e.V.

PRO ASYL

RESQSHIP e.V.

Save the Children

Sea-Eye e.V.

Sea-Watch e.V.

SEEBRÜCKE - Schafft Sichere Häfen!

SOLWODI e.V. Deutsch-land

SOS MEDITERRANEE Deutschland e.V.

Verband binationaler Fa-milien und Partnerschaf-ten, iaf e.V.

Women in Exile & Friends